Droht auch in Zwickau ein „heißer Herbst“? Das Leben wird teurer in Zwickau, viel teurer. Waren die Preise nach dem Abklingen der Coronapandemie wegen der anziehenden Konjunktur bereits gestiegen, so wirken der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die daraufhin verhängten Sanktionen wie ein Katalysator. Die Inflation lag im August bei knapp acht Prozent. Ein Ende ist nicht abzusehen. Preistreiber sind vor allem die Energiekosten. Besonders die Gaspreise schießen in die Höhe. Bezahlten Neukunden vor einem Jahr noch durchschnittlich 5,8 Cent pro Kilowattstunde, werden heute 40,4 Cent fällig. Auch Kunden der Zwickauer Energieversorgung sind betroffen. Geschäftsführer Hentschel prognostizierte bereits im Mai eine Verdopplung der Preise. Das dürfte inzwischen schon Makulatur sein. Weil die Strompreise quasi an den Gaspreis gekoppelt sind, gehen auch sie durch die Decke.
sozialer Frieden gefährdet
Klar, dass sich das auf alle Preise auswirkt, weil Unternehmen versuchen, ihre höheren Kosten an die Kunden weiterzugeben. Die Folge ist eine Steigerung der Lebenshaltungskosten, die inzwischen viele Menschen verzweifeln lässt. Sie wissen nicht, wie sie die Nebenkostenrechnung ihres Vermieters oder die Stromrechnung bezahlen sollen. Längst betrifft dies nicht mehr nur sozial Benachteiligte. Die Krise erfasst den Mittelstand. Menschen haben Angst vor sozialem Abstieg. Viele mittelständische Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand. Arbeitsplätze sind in Gefahr. Der soziale Frieden in unserem Land steht auf der Kippe.
Bisherige Entlastungspakete der Regierung haben sich eher als Rohrkrepierer erwiesen und brachten nur Einzelnen oder nur vorübergehend Erleichterung. Nun, wo der Herbst kommt, legt die Regierung Verbrauchern auch noch eine zusätzliche Gasumlage auf. Doch immer mehr Menschen sind nicht mehr bereit, die Politik der Bundesregierung widerspruchslos hinzunehmen. In vielen Gesprächen, die ich in den letzten Tagen führte, erfuhr ich von einer zunehmenden Unzufriedenheit bis hin zur wachsenden Bereitschaft zum Protest. Hinterfragt werden die Ursachen der Krise und die Haltung der Regierung dazu. Gefragt wird immer wieder, warum man hinnimmt, dass die Sanktionen in Russland kaum wirken, aber bei uns zu Elend und Niedergang führen sollen.
unwillkommene „Anregungen“
Angeheizt wird die Stimmung durch „Anregungen“ führender Politiker, man solle auch mal „für die Freiheit frieren“ (Gauck) oder den „Waschlappen nutzen, statt zu duschen“ (Kretschmann). Auch Tipps zum Energiesparen hat man parat. So rät Wirtschaftsminister Habeck dazu, den Duschkopf zu wechseln. Gerade so, als würden Menschen mit niedrigem Einkommen nicht längst Energie sparen, wo es geht. Der Gipfel ist ein Aufruf der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann „Wir müssen Putin und den Diktatoren dieser Welt, die unser demokratisches Leben hassen und zerstören wollen, entschlossen entgegenstehen. Das wird von uns allen auch persönlich Opfer erfordern, schwach sollten wir trotz alledem nicht werden.“ (Welt 23.08.2022)
Ich spreche solchen Menschen ab, für „uns alle“ und von „wir“ zu sprechen. Schließlich dürfte es ein erheblicher Unterschied sein, ob Strack-Zimmermann Gasumlage bezahlen muss oder die alleinerziehende Mutter mit einem Teilzeitjob. Wie abgehoben muss man sein, derartige Dinge von sich zu geben?
außenpolitische Doppelmoral
Wenn es denn so wäre, dass wir den „Diktatoren dieser Welt“ wirklich entschlossen entgegenstehen. Doch das Gegenteil ist ja der Fall. Unsere Regierung hat noch nie Probleme mit Diktatoren gehabt. Gute Beziehungen zum Apartheidregime in Südafrika oder zum indonesischen Diktator Suharto, an dessen Händen das Blut knapp einer Million Menschen klebte, belegen das. Aber wir müssen gar nicht so weit in die Vergangenheit blicken.
Im Mai besuchte Wirtschaftsminister Habeck Katar. Seine Verbeugung vor dem Emir ging um die Welt. In Katar wird die Scharia angewandt, wird Dieben die Hand abgehackt und werden Frauen unterdrückt. Während der Vorbereitung auf die Fußball-WM in diesem Jahr wurden Arbeitsmigranten unter fürchterlichen Bedingungen zur Arbeit gezwungen. Tausende überlebten das nicht. Katar ist zudem am Krieg in Jemen beteiligt.
Erst vor wenigen Tagen besuchte Außenministerin Baerbock Marokko, um dort – wie es hieß – ein neues Kapitel in den Beziehungen zu beginnen. Menschenrechte gelten auch in Marokko nur sehr eingeschränkt. 1975 hat Marokko völkerrechtswidrig die ehemalige spanische Kolonie Westsahara annektiert. Seither werden die Unabhängigkeitsbestrebungen der Saharauis hintertrieben und die Befreiungsfront Polisario bekämpft. Zehntausende Menschen mussten das Land verlassen und leben heute in algerischen Flüchtlingslagern.
Mit dem Völkerrecht und grundlegenden Menschrechten nimmt man es auch in den Vereinigten Staaten nicht so genau, ohne dass dies unsere Regierung besonders umtreibt. Seit Jahren setzen die USA Kampfdrohnen ein, um vermeintliche Terroristen zu liquidieren. Derartige „Hinrichtungen“ ohne Prozess sind zweifellos Faustrecht und verstoßen klar gegen das Völkerrecht. 90 Prozent der bei Drohnenangriffen ums Leben gekommenen Menschen sind unbeteiligte Zivilisten. Ihre Zahl geht in die Tausende. Besonders brisant: Der Drohnenkrieg wird von deutschem Boden, vom Stützpunkt Rammstein aus geführt. Auch brisant: 2019 haben die Grünen im Bundestag noch einen Antrag „Keine Nutzung der Ramstein Air Base für völkerrechtswidrige Tötungen“ eingebracht. Heute duckt man sich weg.
Nicht anders im Fall des von Abschiebung und jahrzehntelanger Haft bedrohten Julian Assange. Der Gründer der Plattform Wikileaks, der zahlreiche Kriegsverbrechen der US-geführten Kriegsallianz öffentlich machte, kann auf eine Unterstützung aus Deutschland nicht mehr hoffen. Hatte Baerbock sich als Oppositionspolitikerin noch für seine Freilassung eingesetzt, ist heute davon keine Rede mehr. Die schwerwiegende Beeinträchtigung der Pressefreiheit wird hingenommen. Welcher Journalist wird zukünftig noch investigativ tätig sein, wenn er danach derart bedroht ist?
Während bei den sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk sowie der Krim Autonomie- und Abspaltungsbestrebungen als russische Annektierung abgetan werden, wurde die Sezession des Kosovo in einem völkerrechtswidrigen Krieg von der NATO durchgesetzt. Aktuell wird mit der Unterstützung der Unabhängigkeit Taiwans durch die USA der Weltfrieden gefährdet. Auch in diesem Konflikt ist Deutschland an vorderster Front an der Seite der USA zu finden. China betrachtet die Insel als rechtmäßiges Staatsgebiet, wozu es zweifellos völkerrechtlich befugt ist. Wer daran etwas ändern will, riskiert einen großen Krieg.
Es ist also nicht weit her mit dem entschlossenen Kampf für Menschen- und Völkerrecht durch unsere Regierung. Eher macht man das so, wie es die eigenen Interessen gerade gebieten und legt dazu unterschiedlich Maß an. Diese Doppelmoral lehne ich ab. Wer im Zusammenhang mit Russland vom Völkerrecht spricht, darf vom Rest der Welt nicht schweigen.
kein „Putin-Versteher“
Das heißt nicht, Russland in irgendeiner Form zu verteidigen. Ich bin kein Putin-Versteher und ich war das noch nie. Mir ist unbegreiflich, wie ein Land mit solch unbegrenzten Ressourcen es nötig hat, seinen Nachbarn gegenüber aggressiv aufzutreten, statt mit einem auf Wohlstand und Frieden ausgerichteten Gesellschaftsmodell für sie attraktiv zu sein. Und selbstverständlich verurteile ich den Krieg gegen die Ukraine. Das ist gar keine Frage. Krieg ist immer ein Verbrechen. Egal, wo.
Diplomatie statt Waffenlieferungen
Die Frage ist eher, wie dieser Krieg zu beenden ist und ob wir ihn durch die Lieferung von immer schwereren Waffen und Sanktionen verkürzen werden. Da bin ich sehr skeptisch. Waffenlieferungen in Kriegsgebiete wirken wie der Versuch, ein Feuer mit Benzin löschen zu wollen. Völlig zurecht haben die Grünen vor der letzten Bundestagswahl noch gefordert, solche Lieferungen zu verbieten. Heute stehen sie an der Spitze der Befürworter solcher Sendungen, wohl wissend, dass der Krieg damit nur immer weiter geht. Baerbock geht inzwischen von einem langen Krieg aus und sagt der Ukraine jahrelange Unterstützung zu. Wie viele Opfer wird der Krieg so noch fordern?
Wäre es nicht besser, alles daran zu setzen, den Krieg auf Verhandlungsbasis beizulegen, auch wenn das für beide Seiten Zugeständnisse bedeutet? Wird es nicht am Ende sowieso dazu kommen? Oder rechnet tatsächlich jemand mit einer bedingungslosen Kapitulation Russlands? Ist es nicht eher wahrscheinlich, dass der Krieg immer weiter eskaliert, bis hin zum Einsatz von Nuklearwaffen? Wollen wir tatsächlich in einer solchen Auseinandersetzung Kriegspartei sein? Was bleibt dann von Europa, von der Welt? Diesem Treiben muss ein Ende gesetzt werden.
Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der die Gefahr eines Weltkriegs ähnlich groß war. NATO-Doppelbeschluss und die Aufstellung von Atomraketen in der DDR brachten uns an den Rand der Katastrophe. Der kalte Krieg war auf dem Höhepunkt. Damals verteilten Leute wie Gauck Aufnäher mit dem Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“. Heute predigen sie das „Pflugscharen zu Schwerter“. Es war dem Verhandlungswillen und der Kompromissbereitschaft damaliger Politiker zu verdanken, dass die Gefahr gebannt wurde. Es begann eine lange Phase des politischen Tauwetters, die leider schon seit einigen Jahren vorbei ist. Heute haben wir wieder eine höchst gefährliche Konfrontation. Abrüstungsabkommen aus damaliger Zeit wurden gekündigt. Vertrauen ging verloren.
Höchste Zeit also für eine neue diplomatische Offensive. Deutschland sollte gerade aufgrund seiner Vergangenheit Vorreiter sein. Das muss das Gebot der Stunde sein! An die Stelle der Kriegsrhetorik muss wieder die Vernunft rücken. Nur so ist der Krieg schnell zu beenden.
Zwickau solidarisch mit Ukraine
Nur so kann man auch den sozialen Frieden in unserem Land, in unserer Stadt erhalten. Die Zwickauerinnen und Zwickauer sind solidarisch mit der Ukraine. Sie haben das immer wieder mit ihren humanitären Hilfen untermauert. Doch es nützt der Ukraine nichts, wenn wir unseren hart erarbeiteten Wohlstand hingeben, wenn wir unser eigenes Land zugrunde richten. Vor allem, wenn andere absahnen. Die Rüstungs- und Energiekonzerne fahren gigantische Gewinne ein, während die Kosten auf das Volk abgewälzt werden. Dagegen wehren sich die Menschen in Zwickau völlig zu recht. Ich bin dabei in diesem „heißen Herbst“ an ihrer Seite. Zur Kundgebung am 06. September und auch später. Ganz klar!